Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Mainz,

gerne nehme ich die vor uns liegende Adventszeit zum Anlass, Sie herzlich zu grüßen. Am 27. August bin ich zum Bischof geweiht worden. Im Zusammenhang der Weihe haben mich unglaublich viele frohe Glückwünsche und ermutigende Zeichen erreicht, dafür möchte ich Ihnen auf diesem Weg sehr herzlich danken. Es wird noch Zeit brauchen, bis ich einen tieferen Ein- blick in unser Bistum bekomme, aber ich bemühe mich redlich. In den Gremien haben wir erste Überlegungen begonnen, wie ein pastoraler Weg im Bistum Mainz aussehen könnte. Dabei war uns allen wichtig, dass es nicht darum gehen kann, Aktionen zu starten. Sondern zuerst eine geistliche Grundhaltung einzunehmen. Diese besteht im Wesentlichen darin, genau hinzuhören und hinzuschauen, was die Menschen brauchen und was Gott von uns in dieser Zeit erwartet. Es ist nicht immer leicht, die gegenwärtige Zeit mit ihren Herausforderungen anzunehmen als den Augenblick der Geschichte, in den uns Gott hineingestellt hat. Wir tragen als Kirche einen großen Schatz an Glaubenserfahrungen mit uns. In unseren Gemeinden, Gemeinschaften, Klöstern und vielen anderen Orten begegnen wir unserer lebendigen Tradition.

Nun geht es nicht darum, die Asche weiterzugeben, sondern die Glut neu zu entfachen, die durchaus da ist. Wir erfinden auch heute die Kirche nicht neu, aber wir müssen eine Haltung der Aufmerksamkeit einüben, die uns erkennen lässt, worin heute der Auftrag der Kirche in dieser Welt besteht. Das ist eine große Herausforderung für den Bischof und alle Gläubigen, die sich um ein Leben in der Nachfolge Christi bemühen. Ich danke allen, welche dieses Anliegen mittragen im Beten, Mitdenken und Tun.

Die Kirche lädt uns im Advent ein, zu wachen und zu beten. Ich wünsche Ihnen, dass vor lauter vorweihnachtlicher Aktivität dieser Gedanke nicht zu kurz kommt. Wachen bedeutet aufmerksam sein für Gottes oft leise Stimme. Wenn wir in diesen Wochen eine betende Gemeinschaft sind, schaffen wir eine gute Grundlage dafür, dass wir gemeinsam die Kirche und die Welt gestalten können. Ein wunderbares Wort hat der frühere Erzbischof von Paris, Kardinal Jean-Marie Lustiger (1925-2007) gesagt: „Das Christentum in Europa steckt noch in den Kinderschuhen, seine große Zeit liegt noch vor uns! Eine Kirche, die der Über- zeugung wäre, ihre große Zeit liege hinter ihr und sie habe jetzt nur noch das Schlimmste zu verhüten und Restbestände der großen Vergangenheit zu bewahren, hätte geistig kapituliert und wäre damit auch als Kultur prägende Kraft am Ende. Im Gegenteil, die Kraft muss neu entwickelt werden, auch die gegenwärtige Kultur, das Denken, die politische Wirklichkeit, die Wirtschaft, die Kunst aus dem Geist des Evangeliums neu prägen zu können.“ (zitiert nach Marx, Reinhard; Krise und Wende, in Herder Korrespondenz 7/2011, 335-339, 338)

Gott mutet und traut uns vieles zu! Ich wünsche Ihnen, Ihren Familien und Freunden eine gesegnete Adventszeit und eine gute Vorbereitung auf das kommende Weihnachtsfest.

Ihr Peter Kohlgraf

Bischof von Mainz